Der Ruf von Solothurn war eindeutig: Bildet angesichts des Priestermangels einen Seelsorge-verband.

Da wird den Kirchgemeinden also  allerhand zugemutet.

Oben aus schwang die plausibelste  und einfachste Regelung, jene mit dem pro Kopf Ansatz

Dem Seelsorge-verband wurde zügig Leben eingehaucht.

Die Freiwilligen bringen die Pfarreien zum Pulsieren.

Pfarrer Eugen Vogel und Diakon Hans Zürcher (rechts) bei einer Erstkom-munionfeier in Tägerig.

Der Durchbruch kam bei feinem Wein

Diakon Hans Zürcher, von 1989 bis 2007 Seelsorger und Gemeindeleiter in Tägerig, war ein Mann der ersten Stunde im neuen Seelsorgeverband. Er hat den Verband mitgegründet und wesentlich mitgestaltet. Im folgenden Rückblick erinnert er sich an die Zeit vor zwanzig Jahren.

Da steht also das 20-Jahr-Jubiläum des Seelsorgeverbandes Mellingen – Tägerig – Wohlenschwil-Mägenwil vor der Tür. Richtig, das ist ein Grund zum Jubilieren, zum Jauchzen und Singen oder ganz einfach: Sich zu freuen über den gemeinsam gewagten Weg. Ich persönlich lehne vorerst einmal zurück und sinne nach, wie es war in diesen ersten Stunden.

Damals, im Herbst 1988, war ich wie ein Botschafter, der von der Bistumsleitung ausgeschickt wurde, sich zu erkunden, wie es um die Seelsorge steht in diesem Kreis von vier Ortschaften. Pfarrer Kuner aus Tägerig hatte sich eben angeschickt, seine Demission einzureichen. Im Städtli Mellingen wirkte das Pfarr-Original Gottfried Baur über dreissig Jahre segensreich. Es war für ihn die Zeit gekommen, sich ins Vaterhaus nach Wohlen zurückzuziehen. Und in Wohlenschwil ging Pater Greter aus Immensee wöchentlich für ein paar Tage aus und ein. Also galt es, die Seelsorge neu zu regeln. Der Ruf von Solothurn war eindeutig: Bildet angesichts des Priestermangels einen Seelsorgeverband! Mit anderen Worten: die Kirchenpflegen waren in die Pflicht genommen. Wie aber ist das zu bewerkstelligen angesichts der Ungewissheiten bezüglich Personal und Strukturen?

Niemand wollte den Kürzeren ziehen

Wen wunderts, wenn heftig gestritten wurde. Niemand wollte den Kürzeren ziehen, alle wollten ihre Vorteile, ihre Eigenbestimmung behalten. Denn schliesslich gehört zu einer Pfarrei nach kanonischem Recht ein Pfarrer und das bedeutet wiederum Autonomie in der Festlegung der Gottesdienstzeiten und der Ausgestaltung der Pfarreiseelsorge. Und jetzt stand plötzlich die Forderung im Raum, den Pfarrer mit anderen Orten zu teilen. Und nicht nur dies: jetzt sollten auch noch die Seelsorger aus einem gemeinsam Pool bezahlt werden. Da wird den Kirchengemeinden also allerhand zugemutet!

Zuvor aber mussten zum Teil ganze Kirchenpflegen den Hut nehmen, weil die Stimmung im Volk angespannt und angeheizt war. Es dauerte dann nicht weniger als vier Jahre, bis man den grossen „Lupf“ inszenierte und im Herbst 1992 in allen Kirchgemeindeversammlungen praktisch einstimmig beschloss, einen Seelsorgeverband zu gründen und zwar mit dem pragmatischen Ziel, die Seelsorge im Verbandsraum zu gewährleisten, die Zusammenarbeit zu pflegen, Anlässe zu koordinieren, Synergien zu nutzen und im Dialog mit Kirchen, Vereinen und Behörden zu stehen.

Das Ei des Kolumbus bei der Finanzierung

Interessant war, wie der Durchbruch gelang. An einem warmen Sommerabend lud der Mellinger Präsident Rico Herzig alle Delegierten zu sich nach Hause. Auf dem weit ausladenden Balkon wurde feinster Wein aufgetischt (Marke und Jahrgang nicht mehr bekannt!) und bei ernsthafter, sachlich geführter Diskussion war allen klar, die Krux, das Finanzielle muss klug geregelt sein. Der Finanzverwalter, Joseph Meier aus Baden, war mit fünf Finanzierungsmodellen zur Hand. Oben aus schwang die plausibelste und einfachste Regelung, jene mit dem pro Kopf Ansatz. Damit konnten alle leben und den Seelsorgern fiel ein Stein vom Herzen, denn nun konnten sie sich dem Eigentlichen zuwenden, dem geistlichen Wohl der Menschen.

Pfarrer Jacques Keller wurde 1991 als Pfarrer von Mellingen installiert. Zuvor wirkten als Aushilfspriester Viktor Ammann und Joseph John. In Wohlenschwil gab Pfarrer Zeno Helfenberger seinen kurzen Einstand. Er war mir als Vikar aus der Ibächler Kinderzeit bekannt, darum war ich nicht überrascht ob seinen liturgischen Qualitäten und seinem Ulk. Zum Beispiel erwartete ich ihn zur Begrüssung in der Kirche Tägerig. Der Gottesdienst hätte um 10 Uhr begonnen, doch kein Priester erschien in der Sakristei. Zehn Minuten verstrichen und wir alle, die Sakristanin, der Lektor und die Ministranten wurden ungeduldig. Da wurde plötzlich im Chorraum der Kirche das Evangelium verlesen. Wir öffneten die Sakristeitüre, und wer stand da: Zeno Helfenberger im Ornat. Wir schlichen uns verstohlen in den Chorraum, alle etwas verdutzt und befangen. Ja, war das eine Zeit!

Engagierter Jugendseelsorger

Danach wurde es ruhiger in Wohlenschwil und Pfarrer Eugen Vogel übernahm hier umsichtig und leutselig die priesterlichen Dienste. Unter der Leitung von Pfarrer Jacques Keller wurde dem Seelsorgeverband zügig Leben eingehaucht. Die gemeinsamen Sitzungen und die Retraite waren dazu eine wichtige Stütze. Ganz besonderes Glück hatten wir mit der Anstellung von Emil Inauen. Ehrlich gesagt, ich begegnete in meiner kirchlichen Amtszeit nie einem derart engagierten und überzeugenden Jugendseelsorger, wie dies Emil war.

Nach dem Wegzug des allseits geschätzten Pfarrers Eugen Vogel im Jahre 1999 zog Pfarrer Leo Nietlispach für fünf Jahre ins Pfarrhaus von Wohlenschwil ein. Winfried Bader übernahm 2004 als erster Gemeindeleiter die Pfarrei St. Leodegar. Nach seinem Weggang im Jahre 2009 wirkt dort Markus Vögtlin. In Tägerig gab es 2006/07 einen Stabwechsel von mir zu Guido Ducret. In Mellingen vollzog sich der Pfarrwechsel im Jahre 2001. Josef Wiedemeier übernahm die Stadtpfarrei und fünf Jahre später löste ihn Walter Schärli in diesem Amt ab, wo er heute noch mit frischem Elan wirkt.

Katechetinnen leisten Grosses

Der Seelsorgeverband wurde von den Leitungspersonen ganz entscheidend geprägt. Man darf aber nie vergessen, dass die Freiwilligen und aktiven Christenmenschen es sind, die eine Pfarrei oder einen Seelsorgeverband zum Pulsieren bringen. Insbesondere waren es die Katechetinnen und Katecheten, die in ihrer Arbeit mit den Kindern Grosses geleistet haben. Meine schönsten Erlebnisse sind denn auch in diesem Umfeld zu suchen. Ich denke da an das 10-Jahr-Jubiläum des Seelsorgeverbandes mit der Hauptfeier in Wohlenschwil, einer Orchestermesse mit den drei Chören und der weltlichen Feier. Unvergesslich bleiben auch die Wallfahrt nach Beinwil, die Fahrt mit den Pontonieren von Bremgarten nach Mellingen, die bunten Fahnen vor den Kirchen, gemalt von den Kindern im Religionsunterricht, das Singen am Familien-Lagerfeuer, die Aufführung der Zäller Wienacht in Mellingen und vieles andere mehr.

Es gäbe noch vieles aufzuzählen, so das Familien-Skilager in Adelboden und Savognin, den Erfahrungsaustausch unter Katechetinnen und Katecheten und die Schülergottesdienste am frühen Morgen, wo ich jeweils mit der Gitarre ein paar frohe Gotteslieder anstimmte. Ich denke, auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, wird manches in guter Erinnerung geblieben sein.

Ich wünsche dem Seelsorgeverband zum 20-Jahr-Jubiläum weiterhin spannende Episoden und eine geschichtsträchtige Zukunft!

Diakon Hans Zürcher

 

"Der Seelsorgeverband gleicht einer Gemeinschaftspraxis"

Mit einer Gemeinschaftspraxis von Allgemeinärzten vergleicht Seelsorgeverbands-Präsidentin Claudia Venditti den Seelsorgeverband. Und sie lobt die gute Zusammenarbeit, die heute zwischen den drei Kirchgemeinden Mellingen – Tägerig und Wohlenschwil-Mägenwil besteht.

 

Um den Nutzen des Seelsorgeverbands zu illustrieren, greift die Präsidentin des Seelsorgeverband auf das Bild der Gemeinschaftspraxis zurück, das ihr von ihrem Beruf als Pharma-Assistentin vertraut ist.

Eine Gemeinschaftspraxis bietet den Vorteil, dass sich die Ärzte bei Abwesenheit gegenseitig vertreten können, und so keine Lücke entsteht in ihren Dienstleistungen.

Das ist auch in der Seelsorge wichtig. 1989 hat Claudia Venditti selber erlebt, wie mühsam es ist, einen Seelsorger auftreiben zu müssen. Als sie heiraten wollte, gab es in Mellingen gerade keinen Pfarrer.

Mit dem Seelsorgeverband hat sich dieses Problem entschärft. Die Seelsorger springen für einander ein bei Gottesdiensten und Beerdigungen.

 

Präsidium im Turnus

Auch was die Zusammenarbeit zwischen den Kirchenpflegen der drei Kirchgemeinden angeht, findet die Verbandspräsidentin nur lobende Worte. Etwa drei Mal jährlich kommen die Delegierten der Kirchenpflegen zu Verbandssitzungen zusammen, um anstehende Fragen zu besprechen. Daneben tauscht sich Claudia Venditti regelmässig aus mit der Kirchenpflegepräsidentin von Wohlenschwil-Mägenwil, Mirjam Savia, und dem Kirchenpflegepräsidenten von Tägerig, Heinz Haudenschild. Das Verbandspräsidium wechselt im Turnus der drei Kirchgemeinden alle zwei Jahre. Claudia Venditti ist seit diesem Jahr Präsidentin des Verbandes. Seit sieben Jahren gehört sie der Kirchenpflege Mellingen an, die sie ebenfalls präsidiert.

 

Tüchtiges Sekretariat

Erlernen kann man das Präsidentenamt nicht. "Es braucht etwas Zeit, um hinein zu wachsen, aber man wächst auch am Amt," sagt die 1962 geborene Claudia Venditti-Kobelt. Dankbar ist sie, dass sie mit Daniela Troxler auf eine tüchtige Verbandssekretärin zählen kann. Bei Fragen und Unklarheiten findet sie auch Hilfe bei der Aargauer Landeskirche, die im Internet nützliche Ratschläge, Musterverträge usw. anbietet. Mit dem bischöflichen Ordinariat in Solothurn hat sie noch wenig Kontakt gehabt.

 

Von Krisensituationen verschont

Die Verbands-Präsidentin ist froh darüber, dass sie bisher von ernsten Krisensituationen verschont geblieben ist.

Sorgen bereitet ihr aber die Frage, wie sich für die Kirchengremien künftig neue Mitglieder gewinnen lassen. "Es wird in Zukunft immer schwieriger, Mitglieder für die Kirchenpflege zu finden," stellt sie fest. Die zeitliche Belastung des freiwilligen Engagements ist nicht zu unterschätzen. Claudia Venditti arbeitet beruflich zu sechzig Prozent. Bei einem Vollpensum könnte sie ihr Amt nicht wahrnehmen.

 

Eine Kraftquelle

Und noch etwas bereitet ihr Sorge: Wie man auch junge Leute wieder in die Kirche bringt. Die Mutter von zwei Kindern zählt sich selbst nicht zu den fleissigsten Kirchgängerinnen. Gute Erfahrungen mit dem Pfarrer und die Begleitung ihrer Kinder durch die kirchlichen Rituale und Feste haben ihre Bande zur Kirche aber wieder gestärkt. Und schliesslich schätzt die Seelsorgeverbands-Präsidentin die Kirche auch als Ort, wo sie immer wieder zur Ruhe kommen und Kraft tanken kann. "Für mich ist die Kirche eine Kraftquelle," sagt sie.

mav